Bundesrätin Viola Amherd im Gespräch zu aktuellen Themen
Sie kommt vor der Zeit, sprüht vor Energie und erntet gleich zu Beginn Szenenapplaus. «Ich habe hier beim ersten Mal so gute Erfahrungen gemacht, dass ich die zweite Einladung ohne zu zögern angenommen habe», erzählt Bundesrätin Viola Amherd strahlend, immer noch sichtlich beschwingt von ihrem medial begleiteten Besuch der Schweizer Athleten an den European Championships in München am Wochenende zuvor. Überraschend ist die Themenwahl von Club-Politique-Präsident und Moderator Dominique Reber dann zum Einstieg ins Gespräch: Nachhaltigkeit in der Armee, bezogen auf einen aktuellen Artikel in der «Handelszeitung». Tatsächlich beschäftigt sich Amherd schon länger mit dem Thema, das jetzt voll im Trend liegt. «Es existiert seit 50 Jahren der Plan ‚Armee und Landschaft‘. Auf den Waffenplätzen gibt es sehr viele geschützte Arten aus Fauna und Flora. Das mag erstaunlich klingen, aber die Plätze sind ja nicht ganzjährig in Betrieb. Demgegenüber ist auch klar: Die Armee belastet die Umwelt. Panzer und Flugzeuge machen Lärm, den wir reduzieren können. Die Armee ist die grösste Liegenschaftseignerin des Landes. Wir haben auf unseren Flächen bereits umfangreiche Photovoltaik-Anlagen, können aber noch weiter gehen. Unser Ziel: Wir wollen bis 2050 C02-neutral sein. Wir tun viel punkto Nachhaltigkeit, auch wenn man uns mancherorts belächeln mag.»
Nach dem heiteren Beginn verdüstert sich die Thematik aus naheliegenden Gründen. «Eine Krise folgt auf die nächste. Pandemie, Krieg in Europa, Herausforderungen im Bereich der Umwelt, Hitze, Dürre aber auch Überschwemmungen. Mein Departement ist dort überall gefordert.» Amherd hält fest: «Das Thema Sicherheit ist wieder auf der Agenda, auch in der Öffentlichkeit. Der Anlass dazu ist traurig, aber man sieht nun den Wert unserer Arbeit stärker.» Sorgen macht ihr diesbezüglich die Durchhaltefähigkeit. Zwar habe die Teilmobilisierung während der Pandemie gut funktioniert. «90 Prozent der Leute wurden erreicht und haben ihren Dienst angetreten. In manchen Bereichen haben wir sogar zuviel Personal aufgeboten. Aber sollte ein physischer Angriff auf die Schweiz stattfinden, hätten wir ein Problem. Gemäss Prognosen ist der nötige Bestand ab 2030 nicht mehr gesichert.»
Dieses Alimentierungsproblem sei aber schon vor dem Ukraine-Krieg bekannt gewesen. Deshalb ist es für Amherd enorm wichtig, die Attraktivität der Armee wieder vermehrt herauszustreichen. «Wir müssen jungen Menschen aufzeigen, was sie ihrem Land bringen können und was die Armee ihnen bringt, auch privat. Wir müssen einen Umgangston finden, mit dem junge Leute leben können. Wir wollen nicht Richtung ‚Softie‘ gehen, aber wir müssen zeitgemäss werden. Der Militärdienst muss ans Studium angerechnet werden. Und ein WK sollte vielleicht nicht mehr drei Wochen am Stück dauern und auch nicht mehr am anderen Ende der Schweiz stattfinden, damit die Leute zuhause übernachten.» Ein neuer Kernpunkt ist für Amherd die Cybersecurity. «Wir bilden in diesem Bereich Leute aus, die dann in der Privatwirtschaft tätig sein können und einbringen, was sie in der Armee gelernt haben. Eine klassische Win-win-Situation.» Klar im Fokus von Amherd liegt auch die Frauenförderung. «Es sollten mehr Frauen Dienst leisten, denn gemischte Teams sind zu besserer Arbeit fähig», ist die Bundesrätin überzeugt.
Dann wird es brenzlig, denn es geht in die Luft: Frage: Warum ist die Causa Kampfjet-Beschaffung immer noch nicht geklärt? Es sei schwierig, für die Gegner zu sprechen, sagt Amherd, «das Ganze Ist ideologisch geprägt, Sie sind auf diesem Gleis und kommen nicht weg. Auch wenn sie sehen, dass es nicht gut ist. Sie müssen halt ganz klar eine Klientel vertreten.» Für Amherd ist immerhin nun der Fahrplan fix. «Wir haben die Armeebotschaft im Nationalrat in der Beratung, der Ständerat hat schon entschieden. Am 30. September ist die Schlussabstimmung, dann ist der Bundesbeschluss rechtskräftig. Erst dann können wir eine Botschaft formulieren. Nächstes Jahr ist Wahljahr, deshalb wird es wohl 2024 werden, bis es zur Volksabstimmung kommt». Und auch wenn sie die ungeklärte Situation intensiv beschäftigt, nimmt sie die Lage gemäss eigener Aussage durchaus «sportlich». Und versichert: «Meistens schlafe ich jedenfalls gut.»
Den Ukraine-Krieg beobachtet Amherd genau. Und zieht folgende Schlüsse: «Signifikant ist die hybride Kriegsführung, bei der sogar nichtstaatliche Akteure aktiv sind. Deshalb ist für uns ein Cyberbataillon zwingend. Wir müssen die Luftverteidigung fortführen inklusive neuer Flugzeuge und die Bodentruppen stärken. Es braucht robuste Fahrzeuge, die aber vielfältiger einsetzbar sein sollten. Insgesamt zeigt sich, dass wir gute Stossrichtungen verfolgen.» Ebenso diskussionslos ist für Amherd: «Wir wollen keinen Nato-Beitritt, das wäre mit der Neutralität nicht vereinbar. Doch wir wollen die Zusammenarbeit ausdehnen, immer unter Berücksichtigung der Neutralität. Es kann nicht sein, dass wir Trittbrettfahrer unserer Nachbarn sind. Das wäre zu wenig.» Angesprochen auf die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland meint sie: «Wir sind zum Schluss gekommen, dass diese die Neutralität nicht verletzen. In der Neutralitätspolitik gibt es immer Spielraum und in Stein meisseln können wir nichts. Jetzt haben wir einen Angriffskrieg. Ein grösseres Land überfällt ein kleineres. Da müssen wir Stellung beziehen. Wenn wir nicht mitgemacht hätten bei den Sanktionen, wären wir nun isoliert und hätten einen Reputationsschaden.»
Was in diesem Zusammenhang zwingend das nächste Thema aufbringt: die sich abzeichnende Stromknappheit im kommenden Winter. «Die Situation ist ernst. Wir sind weniger gasabhängig als Deutschland, aber doch auch. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber wir müssen uns konkrete Massnahmen überlegen. Die Armee hat viele Notstromaggregate, die könnte man zur Verfügung stellen. Und wir müssen auch einsparen, es gibt Bereiche, wo wir zurückfahren können. Eine Stärke der Armee ist, dass sie immer in Szenarien plant. Wie wurde über unsere ‚Sandkastenspiele’ gespottet. Wie nötig sie sind, sieht man nun.»
Amherd äussert sich zum Schluss des Gesprächs auch zu den Abstimmungsvorlagen vom 25. September. «Ich gehe davon aus, dass die AHV-Reform durchkommen wird und unterstütze sie. Altersarmut betrifft vor allem Frauen. Deshalb verstehe ich ihre Zurückhaltung. Aber wir wollen die AHV in die Zukunft bringen.» Schwieriger wird es gemäss Amherd bei der Verrechnungssteuer. «Steuerthemen auf eine einfache Art, darzustellen, ist eine grosse Herausforderung. Das ist bisher erst mehr schlecht als recht gelungen. Deshalb habe ich auch grössere Bedenken zum Ausgang dieser Abstimmung.» Eine klare Haltung zeigt Amherd auf die finale Frage des Abends: Haben wir eine Bundesrats-Vertrauenskrise? «Nein», ist die Bundesrätin überzeugt. «Wenn ich zum Beispiel auf die zwei Abstimmungen zum Covid-Gesetz zurückblicke, kann man meiner Meinung nach überhaupt nicht von einem Vertrauensverlust sprechen.»