Club Politique Wahljahr 2023
Dienstag, 31. Januar 2023, Hotel Schweizerhof, Bern
Moderation:
Béatrice Wertli, Vorstandsmitglied vom Club Politique
Auf dem Podium:
Nationalrat Marcel Dettling, SVP
Nationalrat Balthasar Glättli, Grüne
Nationalrat Jürg Grossen, glp
Nationalrat Lorenz Hess, Mitte
Nationalrat Christian Wasserfallen, FDP
Nationalrätin Flavia Wasserfallen, SP
Es gelten Chatham House Rules im Club deshalb im Folgenden die Zusammenfassung der Diskussion anhand einiger Stichworte ohne direkte Zuweisung zu den Sprechenden.
Die Diskussion hatte den Fokus auf das Handwerk der Wahlkampagnen und die Erfahrung der Teilnehmenden. Und die Erfahrung ist lange! Zwischen 3 bis 9 nationale Wahlen haben die Anwesenden schon mitgemacht.
Besonders auffällig ist, dass die traditionellen Medien eine neue Rolle spielen. Sie sind sehr wichtig für den Wahlkampf und haben an Bedeutung gewonnen, weil der direkte Kontakt abgenommen hat. Nach wie vor zentral ist die Präsenz in Medien in Form von inhaltlichen Interviews oder Positionen – also nicht im gekauften Bereich, der viel kostet und nur wenig bringt.
Viel mehr Menschen informieren sich via Medien und nicht mehr in Veranstaltungen. Es ist alles viel aufwändiger geworden: In den 90er Jahren war das “Wahltelefon” noch eine Innovation, Plakate und Inserate waren die Mittel der Wahl. Heute ist die Vielzahl von Kanälen für Zielgruppen massiv: Der direkte Kontakt mit Ständen, auf der Strasse, bei Veranstaltungen, auf Podien, Plakate, Inserate, Onlinepräsenz, Soziale Medien, Interviews usw. Die Vielzahl ist für viele Politiker sehr anspruchsvoll – gerade kleine Organisationen sind da oft sehr stark gefordert gut zu überlegen, wo sie fokussieren und wie sie sich taktisch positionieren wollen.
Das Branding ist nach wie vor sehr wichtig: Ein einheitlicher nationaler Auftritt hilft massiv, einfach wegen der Wiedererkennung. Die Verzettelung und Regionalisierung ist ein Nachteil. Sichtbare Farben helfen auch und teilweise sind alleine schon Attribute wie “grün” ein Garant für eine höhere Zahl an Stimmen.
Ein wichtiger, aber unterschätzter Aspekt ist die Mobilität der Menschen. Diese hat sich stark verändert. Es braucht hier auch neue Konzepte, um die Menschen zu erreichen.
Seit Jahren sinkt bzw. stagniert die Wahlbeteiligung um 50% – deshalb sind alle Parteien gefordert, hier Akzente zu setzen und zu mobilisieren. Allerdings kann die tiefe Wahlbeteiligung auch als Ausdruck der Zufriedenheit interpretiert werden und als “Dankeschön” für die gute Arbeit.
Vier der sechs Parteien hatten auch schon ihren “Startschuss” für das Wahljahr – dieser wurde aber von der Öffentlichkeit eigentlich nicht wahrgenommen. Dies sei normal – so der Tenor, denn es gehe im Wahljahr um das Ernten der Arbeit in der Legislatur – diese Sicht wurde kontrovers diskutiert, denn es geht ja auch um das Säen neuer Themen. Zum einen gibt es Themen, die die Parteien bewusst setzen, um z.B. politische Debatten zu provozieren – wie zum Beispiel die Skandalisierung der Genderthematik – oder es gibt Trends und Ereignisse, wie Fukushima, die dann dem Wahlkampf und der Positionierung einen neuen Dreh verleihen und Einfluss auf die Ergebnisse haben. Grundsätzlich sind Schockereignisse eher gut für die Polparteien und eher schlecht für die Mitteparteien. 2023 könnte vor diesem Hintergrund interessant werden, denn es gäbe eine “Sehnsucht” nach Lösungen und eine zunehmende Ablehnung von konfrontativen und nicht zielführenden Debatten. Dies zeigten auch die Einschaltquoten entsprechender TV-Formate.
Die Rolle der Bundesräte für die Wahlen wurde unterschiedliche beurteilt: Bundesräte können eine Rolle spielen, wenn sie sich für den Wahlkampf einsetzen und ein populäres Thema haben. Auch gibt es Parteien, die stärker personenbezogene Wählerinnen ansprechen als andere. In den vergangenen Wahlen haben die Parteien zugelegt, die keinen Bundesrat hatten.
Der thematische Opportunismus im Wahljahr wird als gefährliche eingestuft. Wählerinnen lassen sich nicht an der Nase herumführen, sondern wollen, dass Parteien sich auf die grossen und relevanten Themen und Prinzipien fokussieren und nicht nur nach Effekten haschen.
Das Wahljahr 2023 dürfte intensiv werden, der Appell gegenseitig hart miteinander umzugehen wurde abgerundet durch das gleichsame Bild, dass die Wählerinnen gegenseitigen Respekt erwarten würden.
Das Schlusswort gehörte Béatrice Wertli und dem Wunsch der nächsten Generation: Diese wünscht sich, bereits mit 16 wählen zu dürfen und etwas fürs Klima zu machen.