Innovation braucht Mut

Herausforderungen des Innovationsstandorts Schweiz

Mittwoch, 23. August 2023, Erlacherhof, Bern

Moderation:
Dr. Peter Burkhalter, Rechtsanwalt und Vize-Präsident vom Club Politique

Auf dem Podium:
Dr. Jörg Reinhardt, VR-Präsident Novartis
Dr. Catherine Chammartin, Direktorin des Eidg. Instituts für geistiges Eigentum
Jens Feddern, Leiter Vertical Market Life Science, Siemens Schweiz
Ihre Exzellenz Iwona Kozlowska, Botschafterin Polens in der Schweiz und Liechtenstein

Welche Rahmenbedingungen müssen für Innovation geschaffen werden? Und welche Wichtigkeit kommt dabei dem Schutz des geistigen Eigentums zu?

Die allerersten Worte gehören diesmal dem Gastgeber, Stadtpräsident Alec von Graffenried, der zum bereits traditionellen Sommeranlass im Erlacherhof begrüsst. Nebst dem Thema des Abends beschäftigen ihn und die Clubmitglieder im ersten Stock seines Amtssitzes an den Stehtischen vor allem eines: die grosse Hitze. «Willkommen hier im Süden, wo es halt oft warm ist», scherzt von Graffenried. Angesichts des Temperatur-Rekordtages und der Sonneneinstrahlung habe man sich dazu entschlossen, das Podium drinnen stattfinden zu lassen. «Ihr werdet später noch Gelegenheit haben, das Haus und den Garten beim Apéro zu geniessen», verspricht der Magistrat aber.

Mit einem kurzen Inputreferat stellen die Podiumsteilnehmer sich und ihre Standpunkte zum Thema vor. Den Anfang macht Novartis-VR-Präsident Jörg Reinhard, der für die Wichtigkeit stabiler Rahmenbedingungen plädiert. «Die Schweiz gehört zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt. Angestrebt wird dabei ein nachhaltiges Wachstum, das der ganzen Gesellschaft zugute kommen soll. Die drei Kompetenzzentren und Innovationscluster Zürich, Lausanne und Basel gehören zu den innovativsten Standorten der Welt.» Dass Basel mit seinem Unternehmen dazugehöre, sei zwar nicht neu. «Unsere Vorgängerfirmen waren schon vor 200 Jahren da. Aber wie ein roter Faden ziehen sich Mut und Durchhaltewillen durch die Geschichte. Nur so ist echter Fortschritt auf Dauer zu erreichen.» Roche und Novartis gehörten zu den Top 10 der Welt in der Pharmabranche, die in der Schweiz total 47000 Menschen beschäftige. «Aber es wäre fatal, sich auszuruhen und stehenzubleiben. Wir tätigen Investitionen in neue Technologien und Innovationen in den Bereichen Gentherapie, Nuklearmedizin und RNA-Therapie. Dafür brauchen wir stabile Rahmenbedingungen. Unser oberstes Augenmerk von der Schweiz aus gesehen gilt den Beziehungen zur EU und dem dortigen Patentschutz. Die Schweiz sollte sich an jene Grundfesten halten, die ihr nun seit Jahrzehnten Wohlstand garantieren: Förderung der Bildung, der Status als weltweit vernetzter Forschungsplatz, der intakte Schutz geistigen Eigentums, die Steuerbegünstigung von Innovationen, ein stabiles Rechtssystem und ein uneingeschränkter Zugang zu den Weltmärkten und zu Fachkräften. Innovation war und ist bisher eine ausgesprochene Schweizer Stärke. Gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen muss weiter darauf gesetzt werden», so Reinhard.

Siemens-Vertreter Jens Feddern seinerseits figuriert zum zweiten Mal auf dem Club-Podium und stellt heute das «Green Lab»-Cluster vor, das eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Forschung in der Schweiz vorantreiben soll. Die Vernetzungsplattform wurde vor fünf Jahren gegründet und hat eine Brückenbauer-Funktion. Gemäss Feddern veränderten sich die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung auf dramatische Weise. «Es gibt Wolken am Himmel, weltweit. Die heutigen Laboratorien basieren auf der Infrastruktur und den Konzepten von gestern. Nun braucht es eine Innovationsoffensive, um die Exzellenz und die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Forschungs- und Innovationsplatzes zu erhalten.» In diesem Zusammenhang empfiehlt er auch den Besuch des entsprechenden Symposiums auf der Industriemesse Ilmac für Prozess- und Labortechnologie in Basel vom 26. bis zum 28. September.

Geht es um den Schutz des geistigen Eigentums, ist Institutsdirektorin Catherine Chammartin natürlich an vorderster Front. Auch sie unterstreicht eingangs den Ruf der Schweiz als Innovationsweltmeisterin. Doch wie macht die Schweiz das?», so ihre Frage. Ein Patentrezept gebe es nicht, sondern es müssten viele Elemente zusammenspielen. «Wir haben keine Rohstoffe wie Bodenschätze, unsere Rohstoffe sind die Ideen der in der Schweiz lebenden Menschen. Um daraus etwas entstehen zu lassen, braucht es gute Rahmenbedingungen, was auch den Schutz dieser Ideen umfasst. Zum Glück verfügen wir in der Schweiz hierfür über ein starkes und ausgewogenes Regelwerk.» Chammartin unterstreicht auch die Wichtigkeit der Kommerzialisierung. Im Ausland sei man gemäss Umfragen bereit, bis zu 120 Prozent mehr zu bezahlen, wenn ein Produkt die Garantie «Swiss Made» habe. «Unsere Aufgabe ist es, diese Rahmenbedingungen ständig weiterzuentwickeln, mit Hilfe der Politik und der involvierten Innovationspartner.»

Als vierte und letzte Podiumsteilnehmerin stellt Iwona Kozlowska, die Botschafterin Polens ihren Standpunkt vor, «meine Lieblingsbotschafterin in der Schweiz», wie der Moderator launig anmerkt. Durch einen rhetorischen Startkniff hat sie das Publikum denn auch von Beginn weg auf ihrer Seite. «Es ist keine Selbstverständlichkeit, hier sein zu dürfen, ich schätze Ihren Mut, mich eingeladen zu haben», nimmt sie sogleich das Kernthema auf und illustriert es mit einer Visualisierung unter dem Titel «Together to the top», die Hochhäuser in Warschau und das Matterhorn vereint.

«Sie sind Innovationsweltmeister und wir haben den Ehrgeiz, auch einmal ganz nach vorne zu kommen», sagt Kozlowska. Noch sei Polen zwar weit hinten, «aber wir sind aufeinander angewiesen». Sie erinnert an Antoni Patek, den 1812 geborenen Pionier der Uhrmacherkunst und Gründer des Schweizer Uhrenherstellers Patek Philippe. «Innovation braucht Mut», zitiert sie Patek passend. Die Schweiz habe ihm damals vor allem punkto Stabilität zugesagt. Und bis heute emigrierten viele Polen und zeigten dadurch Mut, Patek sei im 19. Jahrhundert ein Vorreiter gewesen. «Wenn ich mich umschaue, sehe ich, dass die Schweiz fast alles richtig macht. Und ich treffe bei meinen Besuchen immer wieder zugezogene Polen an wichtigen Orten an, im CERN oder an der ETH Zürich. Das zeigt mir, dass wir gut zueinander passen. Die Schweizer sind pragmatisch und zielorientiert, die Polen sind kreativ und haben ein schier untrügliches Gespür für Erfindungen. Das Triple-Helix-Modell für Innovation funktioniert hier besonders gut. Und was die Polen an der Schweiz ganz besonders schätzen, ist die hier gelebte Transparenz», so Kozlowska.

In der nun folgenden Diskussion geht es erstens um die Frage, welcher Eigentumsschutz überhaupt angestrebt werden soll. Jörg Reinhardt erinnert an die Diskussion um Zwangslizenzen für Impfstoffe während der Corona-Pandemie. «Der Schutz unserer Produkte für sechs bis acht Jahre, bevor Generikas auf den Markt kommen, ist die Basis unseres Business-Modells», gibt Reinhardt zu bedenken. «Sonst gibt es die Pharma-Industrie bald nicht mehr», malt er schwarz. Catherine Chammartin kann ihn beruhigen. «Man hat das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet und die Patente nicht ausgehebelt. Aber die Diskussionen gehen natürlich weiter. Und gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Innovation ist. Eminent ist ein stabiler Rechtsrahmen und das Wissen darum, dass alle Beteiligten die Spielregeln kennen.»

Doch Reinhardt ortet die Gefährdung des Innovationstandorts Schweiz auch anderswo. «Im Rahmenprogramm Horizon Europe ist die Schweiz 2021 bekanntlich zu einem nicht assoziierten Drittstaat herabgestuft worden. Da ist nüchtern betrachtet sehr viel weggefallen. Viele potentielle Zuzüger überlegen sich ihren Schritt nun zweimal, kommen gar nicht oder warten auf stabilere Beziehungen mit der EU. Wenn sich hier nicht bald etwas bessert, sind die Auswirkungen dramatisch. Jetzt ist die Politik gefragt, sind mutige Entscheidungen gefragt», sagt Reinhardt, was ihm prompt ein lautstarkes Lob von Gastgeber Alec von Graffenried einträgt.

Auch Jens Feddern blickt nach vorn. «Die Attraktivität für Talente muss gewährleistet bleiben. Und die kommende Generation wird andere Ansprüche stellen und andere Themen setzen, Stichwort Künstliche Intelligenz und Data Mining. Darauf müssen wir vorbereitet sein, sonst ist die Schweiz nicht mehr Champions League», spielt er auf das noch am selben Abend stattfindende Champions League-Playoff-Hinspiel zwischen Maccabi Haifa und YB an (es endete 0:0, YB qualifizierte sich schliesslich mit einem 3:0-Heimsieg für die Gruppenphase ).

Um ihren Innovationsstandard zu halten, sollten gemäss Botschafterin Iwona Kozlowska alle Beteiligten breiter denken. «Forschung funktioniert global. Wir brauchen mehr Schweiz in Europa, mehr Innovation. Aber auch mehr Polen. Für die Polen ist es dabei weniger komfortabel, weil sie dafür rausgehen müssen. Wir brauchen mehr Mut in der Diplomatie und mehr Mut in der Politik. Wenn wir als Europa ein Innovationskontinent bleiben wollen, müssen wir gemeinsame Lösungen anstreben.»

Gerade um die Innovationskraft zu fördern, sei auch die Politik gefragt, in mehrdimensionaler Weise, wie Jörg Reinhardt findet. «Ein Element sind die Cluster. Firmen, die sich gegenseitig befruchten, müssen gefördert werden. Ich erinnere dabei auch an die OECD-Mindeststeuer, die ja am 18. Juni angenommen worden ist. Daneben brauchen wir gut ausgebildete Fachleute und also starke Investitionen in den Bildungsbereich.»

Catherine Chammartin verspricht, mit ihrem Institut die schon angesprochenen Zukunftsentwicklungen rasch aufzugreifen. «Im Bereich Data Mining haben wir eine neue Regelung, die grosszügiger ist als jene der EU. Und wir haben letztes Jahr eine KI-Arbeitsgruppe aufgebaut, um uns rechtzeitig mit den diesbezüglichen rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen zu können. Dabei müssen wir zusätzlich immer noch auch auf unsere föderalistischen Besonderheiten eingehen und eine gemeinsame Summe finden.

Zum Abschluss folgen Fragen und Stimmen aus dem Publikum. Gefordert wird erstens eine wieder lautere Wirtschaftsstimme, namentlich von Economiesuisse. «Es scheint, als habe Economiesuisse der Mut verlassen.»

Auf die Frage nach der effektiven Bedeutung der OECD-Mindeststeuer sagt Jörg Reinhardt: «Für einen Forscher sind Rahmenbedingungen wichtiger als Geld. Und in der Schweiz kommt noch die gute Lebensqualität dazu. Wir haben hier ein internationales Umfeld und sind nicht isoliert, speziell im Basler Kontext. Deswegen ist auch die Horizon-Herunterstufung ein Problem. So zieht die Schweiz weniger gesuchte Leute an, das wird man bald messen können», mahnt er.

Oft wird moniert, die Schweizer seien im Grundsatz schon zu satt und zu verwöhnt. Spürt die Botschafterin Polens den Ehrgeiz nach Innovation hier überhaupt noch?

«Und wie», sagt Iwona Kozlowska. «Ein Vorteil dabei ist, dass die Wege zur Kommerzialisierung im Vergleich zu Polen so kurz sind. Und die Forschung ist ja keine eigennützige Disziplin, sondern soll der Gesellschaft dienen. In der Schweiz funktioniert dies. Man kommt, hat eine Idee und findet Partner. Der Weg ist da, es ist an den Forschern, ihn zu nutzen.» Als Beispiel nennt sie die vom Polen Mateusz Wojdylo neulich in Zürich entwickelte Parkplatz-App, die nun bereits auf dem Markt sei. «Die Schweiz macht es möglich, Träume nicht nur zu haben, sondern sie auch in die Realität umzusetzen», schliesst Kozlowska.

Sehr pünktlich und knapp kommt Moderator Peter Burkhalter, auch dies natürlich der Hitze geschuldet, zum Ende. «Der Garten ruft» sagt er und beschenkt die Podiumsteilnehmer mit einem Berner Haselnusslebkuchen.

Das ähnlich kurze Schlusswort hat Clubpräsident Dominique Reber. Den heutigen Abend sieht er zusammenfassend als einen «geradezu prototypischen Anlass». «Wir bringen die Wirtschaft nach Bern und hier mit den Behörden zusammen. Ich bedanke mich für Ihr Steh- und Schwitzvermögen in diesem Haus, welches von 1848 bis 1857 die Bundesverwaltung beherbergte und gleichzeitig vorübergehend als erstes Bundeshaus diente. Ich denke, diesen Apéro haben wir uns redlich verdient.» Wie wahr.