MSD-Krebsbarometer
Montag, 18. März 2024, Restaurant zum äusseren Stand, Bern
Moderation:
Dominique Reber, Präsident
Auf dem Podium:
Erich Ettlin, Mitte, Ständerat Obwalden
Martina Bircher, SVP, Nationalrätin Aargau
Cinzia di Grandi, ehemalige Lungenkrebsbetroffene
Alexander Rödiger, Global Public Policy Oncology, MSD Merck Sharp & Dohme AG
Die Studie wird durch Lukas Golder und Tobias Keller von gfs.bern präsentiert.
Krebserkrankungen: Wie gehen wir in Zukunft damit um?
Am Thema Krebs kommt auch in der Schweiz leider niemand vorbei. Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in unserem Land. 42’500 Menschen erkranken jedes Jahr neu an Krebs, 17 000 Menschen sterben daran. 400’000 Menschen leben momentan mit einer Krebsdiagnose. Das Risiko, vor dem 70. Lebensjahr an Krebs zu sterben, liegt für Frauen bei fünf, für Männer bei sechs Prozent.
Das Forschungsinstitut gfs.bern hat im Auftrag des Pharmaunternehmens Merck Sharp & Dohme (MSD) Schweiz zum dritten Mal eine repräsentative Umfrage zur Qualität der Krebsversorgung in der Schweiz durchgeführt. Das Hauptfazit vorab: Früherkennung und frühe Therapierung von Krebs schätzen mehr als 90 Prozent der Befragten als wichtig bis sehr wichtig ein. Und über 80 Prozent befürworten eine nationale, vereinheitlichte Krebsstrategie.
Der Auftakt und eigentliche Höhepunkt des Abends gehört Cinzia Di Grandi, die den Clubmitgliedern zum Einstieg ins Thema ihre Krankheitsgeschichte offenbart. Anfangs 2017 wurde bei ihr Lungenkrebs entdeckt. Der Tumor war bereits tennisballgross und nicht nur im Hirnbereich hatten sich Metastasen gebildet. Doch die Luzernerin steckte den Kopf nicht in den Sand. «Ich hatte immer wieder von medizinischen Wundern gehört und sagte mir: Diesmal will auch ich ein Wunder sein.». Ihre optimistische Sichtweise und die Unterstützung ihres Lungenarztes und ihres Umfeldes halfen ihr sehr. Sie sprach gut auf die sofort eingeleitete Immuntherapie an und und stellte ihre Ernährung und ihr ganzes Leben weitgehend um. Im Juli 2017 erhielt sie die erste halbwegs gute Nachricht, dass sich die Metastasen etwas zurückgebildet hätten. Und nach dem geglückten operativen Eingriff ist Di Grandi nun seit März 2018 krebsfrei. Das «Wunder» ist also eingetroffen. «Geholfen hat mir nebst der relativen Früherkennung und all den medizinischen Aspekten auch der offene Umgang mit der Krankheit durch meine Familie und meinen Freundeskreis», unterstreicht sie die Wichtigkeit der Rolle der Angehörigen. Ihre ganze Geschichte kann auf mysurvivalstory.org nachverfolgt werden.
Nach dieser berührenden Einstimmung stellen Co-Leiter Lukas Golder und Studienleiter Tobias Keller von gfs.bern unter dem Motto «Es ist nicht alles Gold, was glänzt» die Umfrage-Ergebnisse vor. Bestnoten gibt es von den Befragten zwar für die Krebsversorgung, gleichzeitig existieren aber offenbar auch Versorgungslücken vor und nach der Behandlung sowie in der Westschweiz. Die Interviews für die quantitative Studie mit 1250 Befragten aus der ganzen Schweiz wurden im September 2023 erhoben, jene für die tiefergehende qualitative Studie mit 15 Befragten im November 2023. Eminent wichtig ist grundsätzlich die Früherkennung und eine möglichst frühzeitige Therapie. Im Vergleich zum letzten Jahr sind diese Werte noch leicht gestiegen. 96 Prozent schätzen die Früherkennung und 97 Prozent die möglichst frühzeitige Therapie als sehr bis eher wichtig ein. Als verbesserungswürdig taxiert wurden die Verzögerungszeiten bei der Diagnose, die Spezialisten-Findung, die Betreuungskoordination, die Dienstleistungen ausserhalb der medizinischen Versorgung und die psychologische Unterstützung. Rund 25 Prozent der Befragten erachteten den jetzigen Stand diesbezüglich als schlecht bis sehr schlecht.
Das Institut gfs.bern fragte auch nach der Meinung zu einer nationalen Krebsstrategie und einer allfälligen Initiativvorlage. Die «Nationale Strategie gegen Krebs» ist 2020 ausgelaufen und aktuell existieren keine verbindlichen Abmachungen. 86 Prozent würden bei einer möglichen Abstimmung für die Wiederauflage einer nationalen Strategie ein «Ja» in die Urne legen, zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Die Pro-Argumente sind klar: Prävention rettet Leben und spart Kosten. Auf der Kontra-Seite erwähnt wird, dass Krebs keine Sonderstellung in der Verfassung bekommen solle. Krebs sei sehr individuell und eine gesetzliche Regelung lohne sich deshalb nicht. Golder und Keller merken grundsätzlich an, dass sich wie bei vielen anderen bereits ergangenen Initiativen der grosse Ja-Überhang bei zunehmender Diskussion abschwächen könnte.
Auf dem Podium begrüsst Club-Präsident Dominique Reber hernach die eingangs vorgestellte Cinzia Di Grandi, die im SAKK-Patientenrat und im Verein «Leben mit Lungenkrebs» dabei ist und Betroffenen nach dem Motto «Hilfe zur Selbsthilfe» für Beratungen zur Seite steht. Mit dabei ist auch Erich Ettlin, Die-Mitte-Ständerat aus Obwalden, der die ursprüngliche Motion «Nationaler Krebsplan» zusammen mit der heutigen Tessiner Staatsrätin Marina Carobbio und in Absprache mit Oncosuisse, der Schweizerischen Vereinigung gegen Krebs, initiiert hat. Die Aargauer SVP-Nationalrätin Martina Bircher, repräsentiert auf dem Podium jene Partei, die sich gegen eine Wiederauflage der Strategie ausgesprochen hat. Bircher zeigt sich vor allem skeptisch gegenüber staatlichen Einmischungen und vertraut darauf, dass Private bessere und praktikablere Lösungen anbieten könnten. Oncosuisse verfüge über alle Möglichkeiten, um eine nationale Strategie ohne öffentliche Hand zu realisieren. Doch grundsätzlich sei natürlich auch sie nicht gegen Prävention und Vorsorge. «Wir brauchen gute Grundversorger und Hausärzte. Wir wehren uns nur dagegen, dass es langsam zur Mode wird, dass der Staat alles übernehmen soll», so Bircher. Komplettiert wird das Podium durch Alexander Roediger, der bei MSD auf globaler Ebene Gesundheitspolitik für Krebs leitet und so die diesbezüglichen Entwicklungen in Europa und weltweit kennt. Seine Kurzanalyse: «Die Schweiz ist zwar langsam, macht es aber sehr solide und konsensorientiert.» Andere Länder wie Deutschland und Frankreich hätten bereits länger einen nationalen Krebsplan aufgebaut. Auf gesamteuropäischer Ebene erwähnt er den «Europe’s Beating Cancer Plan».
Der grundsätzliche Tenor auf dem Podium korrespondiert mit der laufende politischen Entwicklung. Nach dem Ständerat hat am 29. Februar nun auch der Nationalrat die Motion mit 128 zu 54 Stimmen angenommen. Angesichts steigender Krebszahlen und neuer Therapien sei eine bessere Koordination in der Krebsbekämpfung essenziell, sagten die Befürworter Im Rat. In der Schweiz gebe es seit 2020 keine koordinierte Strategie gegen Krebs mehr, was sich auch mit Blick aufs Ausland ändern müsse. Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider sprach sich dagegen aus. Wichtige Schritte seien bereits erfolgt. Darüber hinaus gebe es aktuell keinen weiteren nationalen Koordinationsbedarf. Trotzdem muss der Bundesrat nun also einen Krebsplan erarbeiten. In diese Entwicklung sind der Bund, die Kantone, spezialisierte Organisationen und Experten einbezogen. Für das Parlament ist die Annahme auch ein Zeichen für mehr finanzielle Unterstützung durch den Bund.
In der Schlussrunde äussern sich die Podiumsteilnehmenden dazu, wie sie die Entwicklung in den nächsten fünf Jahren bezüglich einer kommenden nationalen Strategie einschätzen. Alexander Roediger würde diese zwar nicht in der Gesetzgebung festschreiben wollen. « Aber mit Prävention sind bis zu 50 Prozent der Krebsfälle vermeidbar. Es braucht also vor allem Koordination.» Cinzia Di Grandi befürwortet einen nationalen Plan: «Beim Darmkrebs gibt es ja schon eine allseits bekannte Kampagne. Warum könnte man diese nicht ausweiten? Flächendeckendes Screening ist eminent wichtig. Und die allgemeine Prävention, um Kosten zu senken und Leben zu retten.» Auch Erich Ettlin unterstreicht diese beiden Punkte. «Gute Vorsorge spart Geld, das muss man gar nicht erst beweisen. Aber Vorsorge vermeidet auch Leid. Eine einheitliche Koordinationsstrategie ist also dringend nötig. Und dies ist eine Kernaufgabe des Staates, nicht der Privaten. Also muss der Bund eine solche nationale Strategie anstreben.» Auch Martina Bircher würde sich einem solchen Ansinnen nicht grundsätzlich verschliessen. «Ich kann mit einem nationalen Plan leben. Und Prävention kann Kosten und Leid mindern. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das immer von oben kommen soll und muss.»